2015 ist die Schweizer Autorin Milena Moser nach New Mexico ausgewandert, 2018 erschien ihr neuster Roman Land der Söhne. Das ist kein Zufall, der vielschichtige Generationenroman spielt nämlich ebendort: in der Hochwüste von New Mexico, dem Wilden Westen. Die Landschaft selbst ist ein wichtiger Teil der Geschichte, denn in ihr liegen die tiefsten Geheimnisse, die Ängste, Wünsche und Erinnerungen unserer Figuren verborgen, die sich im Laufe der Erzählung wie ein Puzzle nach und nach entfalten.
Drei Generationen, eine Geschichte
Den Ursprung dieser faszinierenden Familiengeschichte bietet der kleine Luigi Bernasconi, der mit seiner Mutter während dem zweiten Weltkrieg vom Tessin in die USA geflüchtet ist. Doch Luigi passt nicht so recht ins Bild der Mutter mit ihrem neuen Partner, und so schickt sie ihn auf eine abgelegene Schule, die Española Outdoor School. Dort soll der charismatische Schulleiter Major Bartlett einen „richtigen Kerl“ aus ihm machen.
Dies ist ihm offenbar gelungen, denn rund dreissig Jahre später ist „Big Lou Bernasconi“ einer der einflussreichsten Produzenten in Hollywood. Seine unglückliche Frau flüchtet sich mit ihrem gemeinsamen Sohn Giò in eine Hippie-Kommune, die bereits bei ihrer Ankunft im Chaos zu versinken droht. Und schon sind wir wieder zurück: Die Kommune befindet sich in der ehemaligen Outdoor School mitten in der bergigen Wüste.
Eine weitere Generation später – Big Lou ist soeben verstorben – begleiten wir die junge Sofia und ihren Vater Giò auf einer Zugreise nach Española, wo Giò ein Stück Land geerbt hat. Die Zugfahrt wird zum Sinnbild für unsere Reise durch die drei Generationen, angetrieben durch die neugiere Sofia, die ihrem sonst so schweigsamen Vater auf der Fahrt plötzlich tausend Fragen stellt …
Wie der Vater, so der Sohn?
Luigi, Giò und Sofia sind die drei Hauptfiguren, denen wir in Land der Söhne folgen, und sie sind auch das Herzstück des Romans. Wir lernen alle drei in der Kindheit bzw. der frühen Jugend kennen, wodurch man als Leser*in das Gefühl hat, ihnen besonders nah zu sein. Sie alle sind sehr komplex und verschieden, auch wenn sie in ihrem Innersten so viel miteinander teilen.
Luigi und sein Sohn Giò haben in ihrer Kindheit eine vergleichbare Ausgangslage: Sie sind an einem neuen, fremden Ort, die Mutter ist weit weg oder im Drogenrausch, der Vater abwesend. Beide werden von ihren Familien vernachlässigt, kämpfen mit aller Kraft um Liebe und Anerkennung, um die Zuneigung von irgendjemandem, auch wenn es nur ein Hund oder ein Pferd ist.
Giò war allein. Seine Seele war eine Geisterstadt. Immer mehr Zimmer waren unbenutzbar geworden, vom Einsturz bedroht.
In ihrer Verzweiflung werden sie beide stark abhängig von den wenigen Menschen, die ihnen ihre Aufmerksamkeit schenken. Giò klammert sich mit ganzer Kraft an seine Mutter, nimmt sie in Schutz und verteidigt sie. Luigi konzentriert sich nur noch auf Major Bartlett; sein einziges Ziel ist es, ihm zu gefallen. Ihm zu beweisen, dass er ein echter Kerl ist.
Nein, er würde nicht versagen. Er würde der beste Schüler sein, den Major Bartlett je gehabt hatte. Schliesslich war er aus anderem Holz geschnitzt.
Ganz anders Sofia: Ihre zwei schwulen Papas umsorgen sie Tag und Nacht, sie wächst wohlbehütet auf, es fehlt ihr an nichts. Doch auch sie plagen dieselben Zweifel und Ängste. „Wie konnte ein kleines Mädchen eine ganze Familie zusammenhalten?“, fragt sie sich und gibt sich selbst die Schuld an der befürchteten Scheidung ihrer Väter.
Es sind diese Themen, welche Enkelin, Sohn und Vater miteinander verbinden: Unsicherheit den Erwachsenen gegenüber, die Suche nach Liebe und Zuneigung, der eigenen Identität. Wie ein Virus fressen sich die immer gleichen Probleme und Sorgen durch die Generationen hindurch, doch alle drei Hauptfiguren gehen auf andere Weise damit um.
Straff geknüpft und dennoch löchrig
Milena Moser zeigt in Land der Söhne, dass sie nebst lebendigen Figuren und einer bildhaften, verständlichen Sprache auch die richtige Strukturierung einer Geschichte beherrscht. Die Kindheitserfahrungen der drei Hauptfiguren sind abwechselnd miteinander verwoben, wodurch man als Leser*in mit jeder Seite ein neues Puzzleteil aufdeckt. Schlussendlich ergibt sich ein straff geknüpfter, farbenfroher Flickenteppich, der zwar zusammenhängt, aber auch einige Löcher hat.
Die Erzählung spitzt sich langsam, aber stetig auf einen Höhepunkt zu – um dann genau dort eine Leerstelle zu lassen. Das Ende bleibt bruchstückhaft, man kommt sich im ersten Moment etwas ratlos vor. Doch wenn man diesen ruhigen und doch so spannenden Roman erstmal auf sich wirken lässt, merkt man vielleicht: Eine Familiengeschichte hat eben kein eindeutiges Highlight, sondern viele kleine Hoch- und Tiefpunkte. Am Schluss fährt Giòs und Sofias stehengebliebener Zug endlich weiter, und genauso wird sich diese Familie weiter vorwärts bewegen, Generation um Generation.
***
Land der Söhne von Milena Moser ist am 20. August 2018 bei Nagel & Kimche erschienen.